Die EU-Tierversuchsstatistik
Seit 1997 steigt die Zahl der Tierversuche kontinuierlich an. Gleichzeitig wird die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden nur unzureichend durch öffentliche Mittel gefördert. Während jährlich Milliarden von Steuergeldern für Tierversuche ausgegeben werden, stehen für die Erforschung tierversuchsfreier Testmethoden nur ca. 4 Millionen Euro zur Verfügung. Zusätzlich verhindern bürokratische Hürden die behördliche Anerkennung dieser Methoden. Aus diesen Gründen finden nach wie vor grausame Tierversuche und ein unnötiger Verbrauch von Millionen Tieren statt.
Im Jahr 2016 wurden in Deutschland nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft (BMEL) 2.854.586 Tiere in Tierversuchen eingesetzt, davon wurden 57.813 Tiere erneut in Versuchen verwendet. 2.189.261 Tiere wurden direkt in Tierversuchen eingesetzt und 665.325 im Rahmen von Tierversuchsprojekten zu wissenschaftlichen Zwecken getötet, beispielsweise zur Organentnahme.
Aufgrund der EU-Tierversuchsrichtlinie gelten neue Regelungen. So werden seit 2014 unter anderem Fischlarven mitgezählt sowie auch die Tiere aus beendeten Versuchen, so dass ein Vergleich mit früheren Jahren nur bedingt möglich ist. Neu ist auch, dass der Schweregrad erfasst wird, denen die Tiere ausgesetzt sind. Über 5 % und damit fast 115.000 Tiere wurden in Tierversuchen des Schweregrads „schwer“ eingesetzt. das heißt, in Versuchen, die mit starken und lang anhaltenden Schmerzen verbunden sind und nach dem Willen der EU verboten werden könnten. 23 % der Tiere starben in Versuchen des Schweregrads „mittel“, 61 % des Schweregrads „mild“ und die restlichen starben ohne Wiederherstellung der Lebensfunktion, d.h., die Tiere wurden unter Narkose getötet. Allerdings ist die Einteilung in den Schweregrad der Einschätzung des Experimentators selbst überlassen – Studien zeigen, dass der Schweregrad in der Regel zu niedrig angegeben wird, das tatsächliche Leid der Tiere also viel höher ist.
Der Großteil der in Versuchen eingesetzten Tiere waren Mäuse (1.992.749, 70 %), Ratten (317.357, 11,2 %) und Fische (311.000, 11 %). Aber auch Kaninchen (99.084), Katzen (766), Hunde (3.977), Meerschweinchen (14.760 Meerschweinchen), Schweine (17.434) und andere Tierarten mussten für Tierversuche herhalten. Aktuell wurden 2.462 Affen in Tierversuchen verwendet, der Großteil für regulatorische Zwecke (u.a. Giftigkeitsprüfungen).
Entgegen politischer Versprechungen ist keine Reduzierung von Tierversuchen wahrnehmbar, im Gegenteil: die per Definition zweckfreie Grundlagenforschung nimmt immer mehr zu. Aktuell liegt der Anteil bei 53 %. Seit Jahren nimmt auch die Zahl der genveränderten Tiere zu. Im Jahr 2016 waren es 1.209.435 Tiere bzw. 42 %, 2015 waren es noch 39 %. Insbesondere transgene Mäuse (86 Prozent) und Fische (13 Prozent) müssen für solche Forschungen herhalten.
Im Rahmen der Grundlagenforschung werden vielfach Tiere, größtenteils Mäuse, genmanipuliert, indem Gene nach Forscherwunsch ein- oder ausgeschaltet oder artfremde Gene eingeschleust werden. Das Ergebnis sind oft kranke Tiere oder Tiere, die nicht die vom Experimentator gewünschten Eigenschaften haben. Rund 90-99% dieser Tiere ist „Ausschuss“, sie werden wie Müll entsorgt und werden in keiner Statistik gezählt.
Tierversuche werden außer in der Grundlagenforschung unter anderem in der Arzneimittelforschung, der chemischen Industrie, in Giftigkeitsprüfungen und zu Ausbildungszwecken durchgeführt. Die Tiere werden für Wissenschaft und Industrie künstlich krank gemacht, vergiftet, verbrannt, verbrüht, verätzt, zerschnitten, radioaktiver Strahlung ausgesetzt oder verstümmelt.
Obwohl seit Jahrzehnten Millionen von Tieren in der tierexperimentellen Forschung verbraucht wurden und Unsummen von Steuergeldern in diese Forschung fließen, sind Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkt, Rheuma oder AIDS bis heute beim Menschen unheilbar. Die Ergebnisse aus Tierversuchen lassen sich nicht auf den Menschen übertragen. Trotzdem werden menschliche Krankheiten künstlich am Tier simuliert. Es werden jedoch lediglich ähnliche Symptome erzeugt, die komplexen Ursachen, die den menschlichen Krankheiten zugrunde liegen, sowie maßgebliche Unterschiede von Tier und Mensch in Körperbau, Lebensweise und Stoffwechsel, werden dagegen vollkommen außer Acht gelassen.
Während bei den gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuchen seit Jahren ein Abwärtstrend zu verzeichnen war, liegt seit 2015 der Anteil dieser Tierversuche wieder höher. 2016 bei 26 %, 2015 waren es noch 22,5 %. Diese Tierversuche dienen der Sicherheit der Hersteller, die nicht zur Haftung herangezogen werden, wenn ihre Produkte gesundheitliche Schäden verursachen oder gar tödliche Nebenwirkungen zeigen. Im Sinne der Patienten- und Verbrauchersicherheit ist ein Fokus auf humanbasierte, tierversuchsfreie Verfahren erforderlich, um die best mögliche Forschung und Wissenschaft zu fördern. Tierversuche in der Aus- oder Weiterbildung machen 2,3 % aus.
Tierversuche in der Kosmetikindustrie – sinnloses und überflüssiges Leid
Besonders umstritten in der Öffentlichkeit sind Tierversuche für Kosmetika. Nach dem deutschen Tierschutzgesetz sind Tierversuche zur Entwicklung von Kosmetika seit 1998 verboten.
Dieses Verbot ist jedoch lückenhaft und erlaubt Ausnahmen. So dürfen Rohstoffe an Tieren getestet werden, wenn sie außer in kosmetischen Mitteln auch noch für andere Produkte verwendet werden. Sie werden dann nach den Prüfvorschriften für Chemikalien getestet, was zahlreiche Tierversuche beinhaltet. Tierversuche für Kosmetika werden aus Gründen der Produkthaftung durchgeführt. Die Firmen können sich so vor den Ansprüchen geschädigter Verbraucher schützen, wenn sich ein Mittel wieder einmal als gesundheitsschädlich erwiesen hat.
Nach jahrelangem Kampf ist am 11.03.2003 die 7. Richtlinie zur Änderung der Kosmetik-Richtlinie (2003/15/EG) in Kraft getreten, die ein stufenweises Ende der Kosmetik-Tierversuche in der EU regelt:
Seit 2004 sind Tierversuche für die Prüfung kosmetischer Fertigerzeugnisse innerhalb der Europäischen Union verboten.
Seit dem 11. März 2009 ist die Durchführung von Tierversuchen für kosmetische Inhaltsstoffe innerhalb der Europäischen Union verboten, unabhängig ob tierversuchsfreie Verfahren existieren oder nicht. Gleichzeitig ist ab diesem Stichtag das Inverkehrbringen von Kosmetika und deren Inhaltsstoffen, die im Tierversuch getestet wurden, in Europa untersagt.
Seit 11. März 2013 ist der Handel mit an Tieren getesteten Kosmetika und kosmetischen Inhaltsstoffen EU-weit verboten.
Das Ende der grausamen Kosmetik-Tierversuche ist ein wichtiger Etappensieg. Allerdings gilt das Verbot nur für Chemikalien, die ausschließlich für Kosmetikprodukte bestimmt sind. Substanzen, die auch in anderen Bereichen (z. B. in der Chemischen Industrie) Anwendung finden und auch für Kosmetika verwendet werden können, fallen nicht unter dieses Verbot. Zudem dürfen außerhalb der EU nach wie vor Kosmetik-Tierversuche durchgeführt werden. Daher ist ein weltweites Testverbot dringend erforderlich.
REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals)
Im Februar 2001 hat die EU-Kommission eine Neuordnung der europäischen Chemikaliengesetze beschlossen, die schließlich im Juni 2007 in Kraft trat. Zurzeit existieren keine ausreichenden Informationen darüber, welches Risiko von den sogenannten Altchemikalien für den Menschen oder die Umwelt ausgeht. Zuständig für die Umsetzung von REACH ist die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), deren Sitz sich in Helsinki befindet.
Im Mittelpunkt der neuen Chemikalienpolitik steht die Sicherheitsüberprüfung und Risikobewertung für chemische Stoffe, die bereits vor 1981 auf dem Markt waren. Die EU-Chemikalienverordnung REACH sieht die Überprüfung von rund 30.000 Altchemikalien mit einer Jahresproduktion von über einer Tonne auf ihre Giftigkeit vor. Nach der Verordnung sollen diese Chemikalien bis 2018 auf ihre Giftigkeit getestet werden – hauptsächlich in Tierversuchen. Dabei werden die Chemikalien anhand der produzierten Jahresmenge in vier Volumenklassen eingeteilt, für die ein Katalog an Standard-Tests vorgesehen ist. Je größer die Produktionsmenge, desto mehr Daten werden gefordert, was heißt, dass auch mehr Tierversuche verlangt werden.
Für Millionen Tiere bedeutet dies unnötige Leiden und einen grausamen Tod. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin werden bis zu 45 Millionen Tiere für das Testprogramm verbraucht, wenn nicht ausreichend tierversuchsfreie Methoden zum Einsatz kommen und die vorhandenen Daten nicht hinreichend ausgewertet werden, um Doppelversuche zu vermeiden. In einem 2009 in der Fachzeitschrift nature veröffentlichen Berechnung gehen Wissenschaftler sogar von bis zu 54 Millionen Tieropfern aus.
Die Bestrebungen der EU, für Verbraucher und Umwelt ein hohes Schutzniveau zu schaffen, sind grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings werden hierbei zuverlässige und praktikable tierversuchsfreier Testmethoden, wie Zellkulturverfahren, Computersimulationen oder die Auswertung bekannter Vergiftungsfälle, nur unzureichend berücksichtigt. Tierversuche sind jedoch nicht geeignet, einen Beitrag zur Gefahrenabschätzung im Sinne eines nachhaltigen Umwelt-, Arbeits-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzes zu leisten, da die Übertragbarkeit auf den Menschen sehr problematisch ist. Moderne tierversuchsfreie Verfahren sind wesentlich sicherer, schneller und zuverlässiger zur Risikobewertung. Auch aus diesem Grund verkündeten die amerikanischen National Institutes of Health (NIH), die Chemikalientestung weitgehend unter anderem mittels vollautomatischer Zelltests durchzuführen.
Gemeinsam mit der EUROGROUP FOR ANIMALS hatte der bmt bei der Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH einige tierschutzrelevante Forderungen gestellt. Die Festschreibung einer vollständig tierversuchsfreien Chemikalienverordnung ist leider nicht gelungen. Durch jahrelange Lobbyarbeit konnte jedoch immerhin erreicht werden, dass Firmen, die die gleichen Stoffe herstellen, zur Vermeidung von Tierversuchen vorhandene Daten austauschen müssen. Darüber hinaus veröffentlicht die ECHA die Tierversuchsanträge vor der Durchführung 45 Tage im Internet. So können alle Beteiligten prüfen, ob bereits Daten oder tierversuchsfreie Test vorhanden sind.
Insgesamt jedoch beharrt das REACH-Programm auf Tierversuchen, anstatt die verfügbaren tierversuchsfreien Verfahren auszuschöpfen. Nur mit durchdachten tierversuchsfreien Teststrategien, die den tatsächlichen Gebrauch der Chemikalien zugrunde legt, kann jedoch eine zuverlässige Risikobewertung vorgenommen werden. Entwicklung und Anerkennung neuer tierversuchsfreier Testmethoden müssen weiter vorangetrieben werden, damit diese zügig in die Verordnung aufgenommen werden können. Aus Tierschutzsicht sind daher in den kommenden Jahren noch erhebliche Nachbesserungen für eine tierversuchsfreie Umsetzung des REACH-Programms notwendig.