Exportschlager Fleisch
War Deutschland bis 2006 noch Netto- Importeur beim Fleisch, sind wir heute Netto-Exporteur. Der Export stieg laut Statistischem Bundesamt von Januar bis Mai 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um über vier Prozent auf 1,6 Millionen Tonnen. Einen hohen Anteil daran hat China. Die Exporte in das Land stiegen um über 80 Prozent! Inzwischen ist das flächenmäßig kleine Deutschland der größte Schweinefleischexporteur der Welt. Die Auswirkungen auf die ausländischen Märkte sind teils verheerend. So ruiniert der massive Export von 42.000 Tonnen Geflügelfleisch (im Jahr 2013) die afrikanische Wirtschaft, die bei den niedrigen Preisen keine eigene Infrastruktur aufbauen kann.
Lösungsvorschläge
Obwohl die derzeitige Situation fast schon wie ein unverrückbares Dilemma wirkt, ist es erstaunlich, wie viele Lösungsvorschläge existieren. Der wohl wissenschaftlich fundierteste Lösungsvorschlag liegt seit März 2015 auf dem Tisch des Bundeslandwirtschaftsministers und stammt von dessen eigenen Experten.
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarfragen empfiehlt in einem 400 Seiten starken Bericht eine Reihe zeitlich abgestufter Maßnahmen, etwa in den Bereichen Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie zur menschlichen Gesundheit. Das Ganze wäre auch bezahlbar. Die Verbrauchspreise für Fleisch würden um lediglich drei bis sechs Prozent steigen. Rund 80 Prozent der Deutschen wären hierzu auch bereit.
Die im Bericht empfohlenen Maßnahmen wurden von allen großen Tier- und Naturschutzverbänden einhellig gelobt. Doch Bundesminister Schmidt ignoriert diese Empfehlungen. Vielleicht aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die sich sträubende Agrarlobby. Da das Ministerium dennoch in Zugzwang ist, setzt es auf seine „Initiative Tierwohl“, die derzeit jedoch hauptsächlich durch Arbeitsgruppen und Diskussionsplattformen im Internet gekennzeichnet ist. Kernstück soll ein staatliches Label für Fleisch mit insgesamt minimal höheren Tierschutzanforderungen werden. Da es jedoch nur mit der Maßgabe der „freiwilligen Verbindlichkeit“ umgesetzt werden soll, wird es die mangelnde Transparenz im Label-Dschungel nur noch verschlimmern. Und da nach derzeitiger Planung die Anforderungen ausgesprochen niedrig, teilweise noch nicht einmal mit geltendem Tierschutzrecht vereinbar sind, kann schon jetzt an der Akzeptanz seitens des kritischen Verbrauchers gezweifelt werden – sollte das Label überhaupt jemals umgesetzt werden.
Niedersachsen, der Hotspot der Agrarindustrie in Deutschland, ist hier erfreulich konkreter. Ein 2011 ins Leben gerufener „Tierschutzplan Niedersachsen“ wurde für zwölf Tierarten beziehungsweise Nutzungsgruppen in rund 40 tierschutzrelevante Schwerpunktthemen ausgearbeitet.
Tierartübergreifend werden vier Themenkomplexe bearbeitet. Ziele sind unter anderem der Verzicht auf routinemäßige, nicht kurative Eingriffe, die Optimierung von Management und Haltungsbedingungen, die Zucht auf höhere Gesamtvitalität sowie die Etablierung von Tierschutzindikatoren. Greenpeace sieht in einer aktuellen Studie den Ausweg in einer „Ökologisierung der Landwirtschaft“, deren Umsetzung bis 2050 als durchaus realistisch gilt. Gefordert werden etwa eine Abkehr der exportorientierten Tierproduktion, die Verbesserung der Tierhaltung und eine Halbierung der derzeitigen Lebensmittelverluste.
Hin zur Ökoroutine
Der wissenschaftliche Projektleiter des Wuppertaler Instituts für Klimaforschung, Michael Kopatz, schlägt einen ähnlichen, sehr pragmatischen Ansatz vor. Da er nicht daran glaubt, dass der Verbraucher allein durch sein Verhalten die Triebfeder zu der notwendigen Änderung ist, fordert er begleitend vom Gesetzgeber einen rechtlichen Rahmen. Vordringlich sei ein Stopp für den Neubau von Megaställen. Anschließend sollten die Standards in der Tierhaltung bis 2030 nach dem Vorbild der Anforderungen der Ökoverbände angehoben werden. Das Besondere an seiner Idee: Die schrittweise vollzogene Verbesserung im Tierbereich wird für den Verbraucher zur Selbstverständlichkeit, zur „Ökoroutine“. Blaupausen hierfür gibt es reichlich, zum Beispiel die schrittweise Verschärfung der Wärmeschutzverordnung, die inzwischen gesellschaftlich akzeptiert wurde.
Etwas futuristisch wirkt schließlich ein Vorschlag des bekannten Tierethikers Richard David Precht. In seinem Buch „Tiere denken“ beschreibt er die Möglichkeit, mittel- bis langfristig von der Massentierhaltung auf „Cultured Meat“ aus dem Labor umzustellen. Denn technisch ist es heute möglich, Fleisch aus den Stammzellen von Tieren zu gewinnen, so dass für tierische Produkte kein Tier mehr leidvoll gehalten und getötet werden müsste.
Ob dies so kommen wird, weiß jedoch auch Precht nicht. Aber sein Appell ist völlig richtig:
Die beste Form, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu machen!