In Deutschland leben nach Schätzungen ca. eine Million Pferde, die meisten in Boxenhaltung ohne regelmäßigen Weidegang und tägliche Bewegung. Für Haltung und Umgang mit Pferden gibt es keine rechtlich verbindlichen Verordnungen, die vor Gericht eingeklagt werden könnten. Die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“, die im Auftrag der Bundesregierung von einer Sachverständigengruppe erarbeitet wurden, bleiben in der Praxis unverbindliche Regelwerke.
In freier Natur ist ein Pferd bis zu 16 Stunden am Tag – meist zur Nahrungsaufnahme – in Bewegung und legt dabei 30–40 km zurück. Pferde sind obligat sozial lebende Tiere, sie leben in Herden. Artgerecht kann deshalb nur eine Gruppen- und Auslaufhaltung sein, weil dies die einzige Haltungsform ist, in der die Tiere ihr ursprüngliches Sozialverhalten ausleben können.
Häufige Tierschutzprobleme
- Viele Pferde stehen den Großteil des Tages in ihrer engen Box ohne Sichtmöglichkeit nach Draußen
- Bei Einzelhaltung haben sie keinen Kontakt zu Artgenossen
- Häufig fehlt der dringend notwendige Auslauf und Weidegang
- Nicht selten werden die Tiere unzureichend bewegt und beschäftigt
- Häufig ist das Stallklima ungeeignet (feuchtwarm)
- Häufig sind Futterzusammensetzung oder Art der Fütterung unzureichend
- Huf- und Gesundheitspflege werden teilweise nachlässig betrieben
Pferdehaltung nach Kriterien der Bequemlichkeit
Gruppenhaltung mit Auslauf wird am ehesten bei Ponys und Kleinpferden praktiziert, in den seltensten Fällen bei Großpferden. Dabei sind sich Fachleute einig, dass jedes Pferd – und das gilt besonders für jung angerittene und schon früh geforderte Tiere – zwangsläufig mit stressbedingten Leistungstiefs reagiert, wenn ihnen körperliche und seelische Erholung durch den Auslauf im Herdenverband vorenthalten wird.
Aber die meisten Hobbyreiter sind berufstätig und können nur wenig Zeit für ihr Tier erübrigen. Sie leben in oder in der Nähe von größeren Städten, und jede Pferdehaltung muss sich diesen Gegebenheiten unterordnen. Das heißt: Die gewählte Reitanlage muss stadtnah und schnell erreichbar sein, den Mindestansprüchen des Besitzers (Halle, Außenreitplatz mit Flutlicht, Longierzirkel, Reiterstübchen etc.) genügen und ihm ein sauberes Pferd im warmen Stall präsentieren.
Diesen „Komfort“ bezahlen Pferde teuer: Im Schnitt stehen sie ca. 21 Stunden am Tag einsam in ihrer dreiseitig geschlossenen Box. Sie weben, knabbern am Holz und starren in so kurzem räumlichem Abstand an die Wände, dass Kursichtigkeit auch unter Pferden keine Seltenheit mehr ist. Ein- bis zwei Stunden werden die Lauftiere, die durch die lange Stehzeit oft verspannt sind, unter dem Sattel gearbeitet und bei unbefriedigendem Ergebnis „herangenommen“, wie es unter Reitern gerne heißt.
Futter nicht auf Verträglichkeit abgestimmt
Das Freizeitpferd von heute soll in kurzer Zeit hohe Leistungen in schneller Gangart (Dressur, Springen, Polo etc.) erzielen; dafür darf es nicht zu dick sein. Die gewünschte „Spritzigkeit“ wird durch ballaststoffarmes, hochkonzentriertes Futter erreicht. Zwei bis dreimal täglich bekommen die Tiere Futterkonzentrate vorgesetzt, die ihrem Nährstoffbedarf allerdings nur ungenügend entsprechen.
Der Verdauungsapparat der Pferde ist evolutionsbedingt auf eine andere Art der Nahrungsaufnahme eingestellt: Ihre Vorfahren legten bedächtig grasend viele Kilometer am Tag zurück; auf diese langsame, ständige Bewegung ist der Stoffwechsel heute noch angewiesen, um seine lebenswichtigen Funktionen aufrecht zu erhalten. Doch der Stoffwechsel der von jeglichen Außenreizen abgeschirmten Boxenpferde läuft nur auf Sparflamme und macht sie damit deutlich anfälliger für Erkrankungen (Koliken, Infektionen, Stoffwechselstörungen und Lungenleiden etc.) und Verletzungen (Bänder, Sehnen, Gelenke, Knochen, Muskulatur etc.).
Auch in psychischer Hinsicht sind diese, oft in ihrer Konzentration und Leistungsbereitschaft stark herabgesetzten, Stallpferde ihren in Sozialverbänden lebenden Artgenossen weit unterlegen. Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen, hochgradige Nervosität und Schreckhaftigkeit machen den Reitern ebenso häufig zu schaffen wie die gefürchteten „Untugenden“ Schlagen, Beißen, Buckeln, Steigen, Ausbrechen und Durchgehen.
Boxenpferde haben kein langes Leben
Laut Versicherungsbranche ist das „Abgangsalter“ der Pferde, die bei artgerechter Haltung über 30 Jahre alt werden können, auf ca. 8 Jahre gesunken. Häufigste Todesursachen sind chronische Lahmheit und Lungenschäden. Als Steppentier ist der Pferde-Organismus an Sonne, Licht, Luft, klimatische Reize und große Temperaturschwankungen (bis zu 40 Grad) angepasst. Das Stallklima mit seiner hohen Luftfeuchtigkeit und Schadstoffdichte (Schimmelpilze, Ammoniak, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff etc.) ist ihm hingegen völlig fremd; das warme Luftgemisch reizt seine empfindlichen Atmungsorgane, begünstigt Heustaub- und Schimmelpilzallergien und kann später bei entsprechender genetischer Veranlagung sogar zu Lungenemphysemen oder Dämpfigkeit führen.
Ein Pferd mit Lungenleiden ist für Reiter mit sportlichen Ambitionen in der Regel „wertlos“ und wird durch die hohen Behandlungskosten nur noch als finanzielle Belastung empfunden. Oft werden solche chronisch kranken Tiere an Händler verkauft und landen früher oder später auf einem Pferdemarkt oder Schlachttiertransport. Dabei können selbst Pferde mit auffällig pumpender Atmung wieder genesen, wenn sie aus dem für sie schädlichen Stallklima herausgeholt und ihnen Bewegungsfreiheit, ständige Frischluft und einwandfreies Futter in einer Auslaufhaltung angeboten werden.
Doch es reicht nicht aus, ein Pferd einfach auf die Weide zu stellen und sich selbst zu überlassen. Bringen aufmerksame Beobachter Vernachlässigungen von solchen falsch verstandenen „Robusthaltungen“ zur Anzeige bietet sich den Helfern oft ein erschreckendes Bild: Da stehen Pferde ohne Witterungsschutz auf kargen Weiden, das Trinkwasser trübe, bis auf die Rippen abgemagert, geschwächt, verwurmt und voller Bisswunden.
Artgerechte Haltung im „Offenstall“
Die Gruppenhaltung im so genannten Offenstall muss vom kenntnisreichen Pferdebesitzer gesteuert werden. Bewährt hat sich laut Fachleuten die Dreiteilung des Lebensraums in Laufstall, Auslauf und Weide. Alle Bereiche sollten miteinander verbunden und von allen Pferden frei begehbar sein. Bei ungenügender Witterung werden nicht trittfeste Böden gesperrt bzw. der Auslauf vor dem Offenstall befestigt (Drainage). Der Laufstall muss die Tiere ein- und aussperren können und die Möglichkeit zur schnellen Unterteilung (Krankenbucht) bieten.
In jedem Pferdeverband herrscht eine Rangordnung, die den Unterlegenen das Ausweichen vor dem Leittier vorschreibt. Diese entstehenden Bewegungsmuster können auf größeren Flächen befolgt werden; schwieriger jedoch, wenn die zurückweichenden Pferde an Zäune und Stallwände stoßen und „ihrem Chef“ damit nicht aus den Augen gehen können. Pferdebesitzer müssen diesem Sozialverhalten durch bauliche Maßnahmen Rechnung tragen. Die gesamte Anlage sollte daher so durchdacht sein, dass sie rangniedrigeren Pferden Fluchtmöglichkeiten und ausreichend Deckungsschutz (Trennwände, Zäune, Hecke, halbhohe Raumteiler etc.) bietet.
Am besten funktioniert eine Auslaufhaltung, wenn jedes Pferd seinen speziellen Freund hat und die Zusammensetzung der Gruppe annähernd homogen ist (ähnliche Lauf-, Spiel- und Futteransprüche). Zu große Herden widersprechen den kleineren, überschaubaren Familienverbänden und rufen oft Unruhe hervor. In der Regel braucht es Zeit, bis Neuzugänge von der Gruppe angenommen werden. Besonders sensibel muss dabei die Integration von tierschutzwidrig gehaltenen und behandelten Pferden angegangen werden.
Keine effektiven Gesetze zum Schutz von Pferden
Leider gibt es keine rechtlich verbindlichen Verordnungen über die Haltung und den Umgang von Pferden, die vor Gericht eingeklagt werden könnten. Es existieren gutgemeinte, aber eben unverbindlich bleibende Regelwerke wie u.a. die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“, die im Auftrag der Bundesregierung von einer Sachverständigengruppe erarbeitet wurden. Gutwillige Pferdehalter finden in diesen Leitlinien jedoch alles Wichtige zur art- und tierschutzgerechten Pferdehaltung.
Der bmt wird sich weiter dafür einsetzen, dass rechtliche verbindliche Verordnungen im Umgang mit Pferden erlassen werden.
Was Reiter und Pferdebesitzer tun können
- Machen Sie Missstände in Pferdehaltungen öffentlich
- Sorgen Sie als zahlendes Mitglied dafür, dass Reitvereine artgerechte Haltungen für Pferde mit Auslauf und Weidegang anbieten
- Regen Sie in unter Reiterkollegen und bei der FN in Warendorf an, einen Fond für in Not geratene Pferde auf Gnadenbrotplätzen einzurichten
- Zollen Sie Ihrem Pferd den Respekt, den es verdient und ermöglichen ihm bis ins hohe Alter ein artgerechtes Leben.
Wer sich mit dem Gedanken trägt, ein Pferd anzuschaffen, sollte:
- über ausreichend Fachkenntnis verfügen, um sein Tier artgerecht zu halten und zu behandeln
- sich bewusst machen, dass eine Pferdehaltung mit hohen jährlichen Fixkosten und unkalkulierbaren Zusatzausgaben verbunden ist
- sich kritisch fragen, ob er die Versorgung des Tieres tatsächlich bis ins hohe Alter sicherstellen kann
- sich überlegen, ob eine Reitbeteiligung nicht eine bessere und vor allem pferdegerechtere Lösung wäre